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Artikel © Metal Hammer, Mai 2025
von Frank Thiessies
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Frischer Wüstengegenwind
Mit THE ARCHER präsentiert Sänger, Gitarrist, Songwriter und Bandchef CHRIS GOSS nach 16-jähriger Pause das brillante siebte Album seiner personell wie stilistisch gestaltenwandlerischen Gruppe MASTERS OF REALITY. Was die lange Auszeit begründet und warum er auf fette Stoner-Riffs eigentlich keinen Bock mehr hat, verrät uns der Don Corleone des Desert Rock im ausführlichen Gespräch.
Als Chris Goss im Zuge der Veröffentlichung des sechsten Masters Of Reality-Albums PINE/CROSS DOVER 2009 in München vorstellig wurde, war dem sympathischen Mann im bunten Kaftan sicher nicht klar, dass der Wartezeitraum bis zum nächsten Album seiner Band in CHINESE DEMOCRACY - Dimensionen vorstoßen würde.
Bis dato hatte Goss mit Masters Of Reality, deren von Rick Rubin prote- giertes Band-betiteltes Debüt 1989 ersten Staub aufgewirbelt hatte und dem drei Jahre später zusammen mit dem einstigen Cream-Drummer Ginger Baker mit SUNRISE ON THE SUFFERBUS eine mehr als formidable Fortsetzung hinterhergeschickt worden war, verhältnismäßig kontinuierlich gearbeitet. Neben einem obskuren wie Google-würdigen Mittneunziger-Song-Beitrag für die cool-krude Cartoon-Serie ‘The Ren & Stimpy Show’ namens ‘Climb Inside’ hatten lediglich diverse Produzenten-Jobs Goss immer wieder in Beschlag genommen. Profilstiftende Produzenten-Jobs, wohlgemerkt, bei denen er neben Kyuss, den Screaming Trees, Russell Crowes Band 30 Odd Foot Of Grunts eben auch den Hollywood-Rockern Kik Tracee bei ihrer EP-Erwachsenenwerdung FIELD TRP geholfen oder The Cult-Sänger Ian Astbury bei dessen Solodebüt im Studio unter die Arme gegriffen hatte. „Ich war abgelenkt vom aktuellen Zustand der Welt. Was da draußen passiert, hat mich nicht gerade dazu inspiriert, Musik zu machen, sondern vielmehr dazu, herauszufinden, was zur Hölle vor sich geht“, gibt Goss via Video-Talk-Schalte in die Wüste auf die einleitende Frage, womit er sich die letzten anderthalb Dekaden die Zeit vertrieben hat, pragmatisch zu Protokoll. „Es hat schließlich neun Jahre gedauert, bis ich wieder das Interesse daran gefunden hatte, etwas zu machen. Die letzten sechs Jahre habe ich an diesem Album gearbeitet. Es war eine mentale Offenbarung für mich, dass ich in Bezug auf das, was geschieht, einfach nichts anderes machen kann als Musik. Das ist mein Job. Mein Job ist es nicht, politische Statements zu äußern. Das bringt nur Ärger ein“, raunt der im Staat New York Geborene, während ihm nicht nur der in seiner kalifornischen Wüstenwahlheimat gerade aufbrausende Wind, sondern auch die Leistungsfähigkeit seiner Smartphone-Lautsprecher zu schaffen machen.
Spurensuche
„Viele der Akkorde oder Ideen für dieses Album haben etliche Jahre auf dem Buckel. Ich hatte sie im Hinterkopf oder irgendwo auf dem Telefon gesammelt. Der Prozess des Entdeckens und Wiederentdeckens hat mich lange beschäftigt.“ Eine der ältesten Ideen ist dabei das als Single schon letztes Jahr vorausgeschickte ‘Sugar’, das laut Goss auf das Jahr 2006 datiert und von der Akkordfolge des Cream-Songs ‘We’re Going Wrong’ inspiriert wurde – nachdem es einem Tonartwechsel von Moll nach Dur unterzogen wurde. Dabei ist der liebliche Pink Floyd-Pop von ‘Sugar’ keineswegs repräsentativ für den Rest von THE ARCHER. „Ich glaube ich musste einfach mal einen Song über Frauen schreiben. Zumindest ist es das, was dabei herausgekommen ist. Es geht um all diese Frauen, die ihre Heimat hinter sich lassen und auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit nach New York, Detroit oder – wie meine Frau – Los Angeles gegangen sind, und was ihnen auf diesem Weg widerfährt.“ Auf musikalischer Ebene sind es indes eher die großen Solokünstler wie Bob Dylan, Neil Young oder, wie etwa im Funk-Finale von ‘Bible Head’, immer wieder David Bowie, die bei Goss prägende Spuren hinterlassen haben. „Bowie ist unvermeidlich. Er zählt zu meiner Top Fünf von Musikern, die ich schon mein Leben lang höre“, gesteht Goss. Dass sein langjähriger Schützling Joshua Homme insbesondere auf späteren Alben seiner Queens Of The Stone Age gerne die Bowie-Karte spielt, verwundert Goss nicht. War er es etwa letzten Endes, der Homme überhaupt auf diesen Trichter gebracht hat? „Es gab eine Zeit, in der wir über Bowie diskutiert haben und er sich nicht viel um ihn geschert hatte. Damals war er vermutlich noch nicht smart genug, um zu realisieren, was dahintersteckt und wie tiefgehend das ist. Jedenfalls wurde immer ersichtlicher, wie stark der Einfluss von Bowie auf meine Musik ist. Und da Josh stets gerne zu mir geschielt hat, wenn es um künstlerische Richtungsfindung geht – auch wenn er das nicht zugibt –, bin ich vermutlich tatsächlich der Ursprung“, bestätigt der Sänger und Produzent. Großen Kontakt pflegen die beiden allerdings seit ein paar Jahren nicht mehr. „Josh hat in letzter Zeit viele persönliche Dinge durchgemacht. Das Leben ändert sich ständig und gibt einem Dinge in die Hand, die einen ablenken. Das trifft vermutlich auf uns beide zu. Wenn uns irgendetwas per Zufall wieder zusammenführt, ergibt sich vielleicht noch mal eine Zusammenarbeit daraus. Aber ich bezweifle es.“
Der Baker-Komplex
Geht es hingegen um das direkte, Masters-eigene Mitstreiter-Umfeld, kommt Goss sofort ein Name in den Sinn, mit dem er sich eine verlängerte Zusammenarbeit gewünscht hätte. „Mit Ginger Baker hätte ich gerne mindestens noch ein weiteres Album auf die Beine gestellt. Leider haben wir nur eines gemacht, das etwas zu lange gebraucht hat. Und das, obwohl die Songs eigentlich recht flott aus Jams entstanden waren und wir uns blendend verstanden haben“, plaudert Goss aus dem Nähkästchen. „Ginger sagte immer, dass er drei verdammte Jahre ein Teil von Masters Of Reality war und dabei nur ein Album herausgesprungen sei, während er in derselben Zeit vier Platten mit Cream gemacht habe. Und er hatte verflucht noch mal recht damit! Ich war damals 30 und dumm, dachte, ich hätte alles erreicht und könne nun sechs Monate im Studio verschwenden. Sowas macht manche Künstler kaputt. Mich hätte es das fast auch“, sagt Goss resolut, den Kampf mit dem Gegenwind gewonnen und nun endlich auch seine Zigarette zum Glimmen gebracht habend. Die lange Entstehungszeit seines jüngsten Werks geht dabei keineswegs auf zügellose Frickeleien zurück. „Ich war die sechs Jahre, die ich an THE ARCHER gearbeitet habe, lange physisch krank und habe zudem ein neurologisches Leiden, das echt schlimm ist. Bei physischen Problemen macht man ein Röntgenbild und findet die Ursachen. Das funktioniert bei neurologischen aber nicht. Es geht mir nun wieder besser, auch wenn es noch da ist. Letztendlich ist es eine Sache der geistigen, innerlichen Einstellung. Das sind die Dinge, die einen dazu befähigen, etwas zu überwinden. Ich laufe immer noch nackt in einer frostigen Nacht durch die Wüste und stelle mich dem Wind und blicke dem, was kommt, ins Auge.“ Die letztjährige Tournee, die die neue Masters-Besetzung unter anderem auch zum Desertfest geführt hat, war für den Bandchef jedenfalls eine kraftspendende Erfahrung, ein „Schuss an Liebe“, wie er selbst sagt. Mit Gitarrist Alain Johannes kann Goss darüber hinaus ein neues Masters-Mitglied vorweisen, welches durch seine Zusammenarbeit mit Chris Cornell und Mark Lanegan sowie als Queens Of The Stone Age-Kollaborateur und Desert Session-Spieler sowohl Teil der Seattle-Szene als auch der Stoner-Wüstengemeinschaft war, die beide die Neunziger geprägt haben.
Fensterloses Seattle
„Was aus Seattle kam, war eine Sache, und was aus der Wüste kam, eine andere. Aber es gab auf beiden Seiten eine gegenseitige Bewunderung. Nirvana waren das Beste, was die Seattle-Szene hervorgebracht hat. Leider hat das zu schnell seinen Tribut gefordert. Nirvana waren zudem auch große Kyuss-Fans“, erzählt Goss. „Dave Grohl hat mal erwähnt, dass sie mich fast für die Produktion von NEVERMIND engagiert hätten. Gut, dass sie es nicht getan haben. Ihr wisst ja, wie viele der Songs darauf mit einem Klargitarrenintro beginnen, und erst danach tritt Kurt aufs Fuzz-Pedal und der Song hebt ab. Wäre ich Produzent gewesen, hätte ich genau davon abgeraten. Ich hätte ihren kommerziellen Appeal unweigerlich zerstört“, gesteht Goss. „Es ist also ganz gut, dass stattdessen Butch Vig das Album gemacht hat. Wenn ich eine Band produziere, lasse immer gerne ein Fenster offen, das einem die Möglichkeit des Ausstiegs für die nächste Platte gibt. Ich versuche, vorauszudenken und auch die kritische Rezeption und Analyse zu antizipieren, sodass man sich einen Notausgang einbaut“, eröffnet der Sänger, der einen späteren Nirvana-Song für immer ins Herz geschlossen hat. „‘Heart Shaped Box’ ist vermutlich mein absoluter Lieblings-Song, weil er so verdammt heftig ist. Es fällt fast schwer, sich das anzuhören, weil man spürt, dass der Mann nicht mehr lange unter uns weilen würde, da er spirituelle Schmerzen leidet. Vielleicht hätte ich ihm in diesem Bereich helfen können. Aber da hatten sie sich für Steve Albini entschieden, und das hat Kurt die Möglichkeit gegeben, ein Bild seines gegenwärtigen Zustands zu malen. Einen Ausblick auf etwas, das danach noch folgen könnte, gab es dabei nicht mehr. Das tragische Ende war unausweichlich.“ Mit Fan-Erwartungshaltungen in Bezug auf seine Band geht Goss hingegen ganz gelassen um. „Dieses Album ist vermutlich sowas wie unser LED ZEPPELIN III. Ein Album mit vielen akustischen Elementen. Damals fühlten sich die Leute vor den Kopf gestoßen, als sie erst ‘Immigrant Song’ und dann die ganzen akustischen Sachen hörten. Aber ich denke, man muss seinem Herzen folgen“, lässt das Mastermind verlauten, das an verzerrten Riff-Brechern dieser Tage kein großes Interesse mehr bekundet. „Der Auftritt beim Desertfest und all diese Bands zu hören, die Sabbath-Riff-Rock spielen, hat mir gezeigt, dass das nicht das ist, was mich inspiriert. Sie schauen alle in eine Richtung, wir aber in die andere. Ich schwimme gegen den Strom, auch wenn das mein finanzieller Ruin sein mag“, so Goss mit einem Lachen. „Ich mache nicht gerne das, was alle machen, sondern versuche lieber, die Aufmerksamkeit der Leute in eine andere Richtung zu führen und ihnen eine alternative Option anzubieten.“
Zitate
„Mein Job ist es, Musik zu machen.“ Chris Goss
„Sie hätten mich fast für die Produktion von NEVERMIND engagiert.“ Chris Goss
„Ich schwimme gegen den Strom, auch wenn das mein finanzieller Ruin sein mag.“ Chris Goss
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