© Dirk Siepe & Visions 2009

Autor: Dirk Siepe;  Bilder: Jens Oellermann; Link: www.visions.de. Uncut Interview exklusiv auf mastersofreality.de. Mein Mastersfreund & Stonerrockexperte Dirk Siepe hat das Interview mit Chris Goss (Masters Of Reality) am 21.07.2009 im Hotel Alexander Plaza (Berlin) geführt. Nochmals vielen Dank an Dirk, Jens und das gesamte Vision-Team!

 

Das große Dirk Siepe uncut Interview mit Chris Goss

SURREALER SWING

Wird der auf dem Cover bei den Texten abgedruckte Titel „Rosie’s Prescence“ wirklich so geschrieben?

Chris Goss: Nein, natürlich muss es „Rosie’s Presence“ heißen. Das ist ein verdammter Schreibfehler. Sehr ärgerliche Sache, ich habe mich fürchterlich aufgeregt. Solch ein wundervolles Cover und dann so ein ätzender Druckfehler.

Das Album ist in zwei Teile aufgeteilt. Steckt da ein Konzept dahinter?

Goss: Ja, ich denke, das kann man so nennen. Beide Teile sind in sich geschlossene Einheiten. Aber sie gehören auch untrennbar zusammen.

Warum dann dieser geteilte Titel „Pine / Cross Dover“?

Goss: Ich mochte den Titel „Pine“ von Anfang an sehr gerne und wollte es eigentlich bei diesem Titel belassen. Mein Drummer John hat dann diese Zeichnung gemacht von der großen Glocke, die in den Ozean fällt.
Als er mir dieses tolle Bild dann geschickt hat, stand ich vor einer schweren Entscheidung. Während wir aufgenommen haben, habe ich die Songs immer in zwei Kategorien aufgeteilt. Einige hatten einen straighten Rock-Vibe, wohingegen andere wiederum sehr verträumt waren.
Die Idee der Aufteilung kam also erst während des Aufnehmens, es war nicht von vornherein so geplant. Irgendwann bekam der Aufnahmeprozess eine Eigendynamik, die ich gar nicht mehr kontrolliert habe. Das Konzept der Teilung ist dann quasi ganz von allein entstanden. Das Album hat sich selbst konzipiert.

Du wusstest also nicht, wie die Struktur des Albums aussehen würde, bevor ihr ins Studio gegangen seid?

Goss: Ich hatte eine vage Idee davon, aber viel mehr auch nicht. Du musst dir das wie bei einem Hausbau vorstellen. Man weiß, dass man Teakholz benutzen wird und dass die Zimmer rechte Winkel haben werden. Damit sind schon wichtige Elemente festgelegt und man kann mit diesen groben Angaben schon mal loslegen. Als ich mit John über die angestrebte Ausrichtung des Albums gesprochen habe, fragte er mich, in welche Richtung ich gehen wollte.
Ich antwortete: „Keine Ahnung, wie wäre es denn mit Led Zeppelin zu ‚Presence’-Zeiten?“ Dieser sehr drahtige, funkige, dreckige Zeppelin-Sound hatte es uns beiden angetan. Also sollte es Led Zeppelins „Presence“ sein, das auf Shakti, John McLaughlins akustisches Hindu-Zeug trifft. Ich weiß, dass dazwischen ganze Welten liegen, aber das waren die beiden Sachen, die ich mir bevorzugt angehört habe, als mich John nach der stilistischen Ausrichtung gefragt hatte. Ich denke, die Platte hat eine Menge Swing und auch eine Menge Verrücktheit. Es swingt zwar, aber es ist eine Art surrealer Swing.

Über die Entstehung des Albums steht im Info, dass dich der Labelboss von Mascot 2008 angerufen und gefragt hätte, ob du nicht ein neues Masters-Album machen wolltest. Das Album war allerdings auch schon für Frühjahr letzten Jahres angekündigt. Wie passt denn das zusammen?

Goss: Die Verschiebung musste einfach sein, denn es gibt so viele Sachen zu bedenken, wenn man ein Album veröffentlichen möchte. Der Anruf kam übrigens Ende 2007, also hat es von da bis zum Release noch fast zwei Jahre gedauert. Die Platte sollte im März fertig sein, und dann wäre sie auch noch rechtzeitig zu den großen Sommerfestivals erschienen.
Das Problem war aber, dass ich sie vor Mai nicht fertig bekommen habe. Für die Festivals war es zu spät, und ohne ein aktuelles Produkt wollte ich dort nicht antreten. Von daher habe ich es dann dem Label überlassen, die logistischen Entscheidungen zu treffen, wann die Platte nun in den Läden stehen würde. Sie wissen besser, wann sie ein Album veröffentlichen und mit den entsprechenden Aktionen begleiten können. Deshalb hat es bis heute gedauert.

Du sagtest, dass ihr auch ziemlich lange im Studio zugange wart. Was hat dort die meiste Zeit verschlungen?

Goss: Ach, so viel Zeit haben wir gar nicht im Studio verbracht. Februar, März, April und Mai – länger haben wir im Studio nicht an der Platte gearbeitet. Drei Monate gingen fürs Schreiben drauf, und insgesamt vier Monate sind heutzutage doch keine lange Zeit für eine Albumproduktion. Wir hatten schließlich noch so gut wie gar nichts fertig, als wir mit der Arbeit im Studio begonnen haben.

Kann man die Arbeitsatmosphäre in etwa mit einer Desert Session vergleichen? Schließlich kamen und gingen einige Musiker während der Entstehungsgeschichte.

Goss: In gewisser Weise schon, wobei es natürlich bei weitem nicht so viele Leute waren, wie normalerweise an einer Desert Session beteiligt sind. Am Anfang waren es ja auch nur John und ich, die zusammen in der Rancho de la Luna gespielt und aufgenommen haben. Dave Catching hat ab und zu vorbeigeschaut und mitgespielt. Aber zunächst mal haben John und ich ganz diszipliniert die Rhythmussachen fertig gemacht. Nach zwei oder drei Wochen waren alle Schlagzeugspuren im Kasten. Genug Rhythmen und Grooves für ein Album. Manche Drumtracks sind schon so gut wie ein Song, sie geben die Richtung ganz klar vor, andere wiederum benötigen etwas mehr an Interpretation und Bearbeitung.
John ist dann wieder nach New York geflogen, bevor ich richtig mit den Overdubs angefangen habe. Er war mit den Drums ja soweit fertig und ich habe dann zusammen geschnitten, was er eingespielt hatte, und die Teile zu einem fertigen Ganzen gefügt. Das war dann in einem anderen Studio in L.A., mit Dave Catching und Brian O’Connor. Sie haben mich toll unterstützt, sind fast jeden Tag im Studio erschienen für den Fall, dass ich ihre Hilfe benötigen würde.
Bei vielen Songs ist das endgültige Songwriting erst passiert, als wir schon mit dem Mixen zugange waren.  

Was ich nicht ganz verstehe: Wenn die Songs so entstanden sind – erst die Rhythmustracks, dann die Overdubs –, wieso sagst du dann, dass „Alfalfa“ so eine tolle Erfahrung gewesen sei. Vier Leute, die zum ersten Mal in einem Raum zusammen waren, spielen drauflos…

Goss: Oh, „Alfalfa“ ist eine absolute Ausnahme. Das haben wir alle zusammen live eingespielt, da gibt es keine Overdubs, nach einem Take war alles im Kasten.
Der Song ist auch komplett an einem Abend im Rancho-Studio entstanden. Mein Freund Mark Christian kam vorbei und spielte Gitarre, ebenso Brendon McNichol, der den Bass beisteuerte. Brendon hat auch schon mit Queens Of The Stone Age gespielt…

Und auch schon mit den Masters.

Goss: Ja, richtig, du kennst ihn also? Ich wusste nicht, dass sein Name ein Begriff ist.

Sehnst du dich nicht manchmal nach einer richtige Band mit festen Mitgliedern? Oder bevorzugst du die Frische, die das Spiel mit immer wieder wechselnden Musikern mit sich bringt?

Goss: Oh ja, ich wünsche mir schon des Öfteren eine feste Band, die über mehrere Jahre zusammengewachsen ist. Aber bevor ich das realisieren kann, muss ich erst mal einen gewissen Zeitraum mit diesen Menschen verbringen.

Um ganz sicherzugehen, dass es auch zusammenpasst?

Goss: Ja, unter anderem. Es gibt da vieles zu bedenken, schließlich müsste ich diesen Leuten ja ein regelmäßiges Gehalt zahlen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Wir müssten zusammen Zeit aufbringen, um regelmäßig zu proben und auf Tour zu gehen. Eine richtige Band auf die Beine zu stellen ist nicht viel anders, als eine Firma zu gründen.

Natürlich, wenn einer das uneingeschränkte Sagen hat, ist es etwas anderes als bei einer Band, die aus gleichberechtigten Mitgliedern besteht.

Goss: Ganz genau. Und die Masters sind nun einmal meine Band. Da wäre es dann eine Frage der Logistik und des Geldes. Ich mag das Musikmachen mehr als alles andere, daher bin ich nicht selten in einem Konflikt, weil das, was ich gerade tue, vielleicht nicht das ist, was ich gerade am liebsten tun würde.

Du siehst dich also als Musiker, nicht als Produzent, wie du von einem großen Teil der Musikwelt in erster Linie wahrgenommen wirst?

Goss: Ich denke, beides trifft auf mich zu, aber tendenziell sehe ich mich immer noch eher als Musiker. Ich komme nur gerade zu einer Stufe meines Lebens, wo ich mich einfach mit einer Gitarre im Arm am wohlsten fühle.
Eine Gitarre, ein Joint und dann jammen – das ist das Größte für mich. Die besten Sachen, die ich so geschrieben habe, entstanden bei einem Jam zwischen mir und John. Ich würde mir wünschen, dass die Welt das noch öfter erleben könnte.

Kannst du den Masters denn immer die Top-Priorität einräumen, oder musst du dich manchmal auch Sachzwängen beugen und die Produktion mit einer anderen Band vorziehen, weil es so gut bezahlt ist?

Goss: Ich habe noch nie eine Band produziert, die ich nicht mag, und das wird auch nie passieren. Es kann also kaum sein, dass ich des Geldes wegen die Masters hinten anstelle. Ich nehme nur Aufträge an, auf die ich auch Lust habe.

Wie planst du denn deine Zeit? Um mit den Masters ein Album aufzunehmen und auf Tour gehen zu können, musst du dich doch mindestens für ein Dreivierteljahr von deinen restlichen Verpflichtungen freimachen, oder?

Goss: Ich mache mir meine Pläne eigentlich immer erst, wenn ich schon mittendrin in der Arbeit stecke. Außerdem ändert sich das alles ständig, es läuft nie nach dem gleichen Muster ab. Diesmal war es äußerst simpel, Ed van Zijl rief mich an und fragt, ob ich nicht Lust hätte, ein neues Masters-Album aufzunehmen. Und ich habe kurz überlegt und ja gesagt.

Wenn es wirklich so einfach ist, dann werde ich den Mann dazu bringen, dich in Zukunft zweimal im Jahr anzurufen.

Goss: Haha. Mach das, vielleicht komme ich dann endlich mal ein wenig besser aus dem Arsch. Aber es gab in den vergangenen Jahren eben auch noch andere Sachen, auf die ich Lust hatte. Und natürlich habe ich auch die Gelegenheiten genutzt, wenn es für mich gutes Geld zu verdienen gab, denn nur solche Sachen ermöglichen es mir überhaupt, die Masters am Leben zu erhalten.
Wenn ich ein MOR-Album herausbringe und auf Tour gehe, mache ich damit nicht gerade Tonnen von Kohle. Aber wenn ich mit den Queens Of The Stone Age arbeite, eröffnet mir das die Möglichkeit, mich ein halbes Jahr ohne Sorgen auf die Masters zu konzentrieren.

Bei den letzten Sachen aus dem QOTSA-Umfeld warst du allerdings gar nicht beteiligt. Wobei Spinnerette vom Sound her wohl auch gar nicht so gut zu dir passen würde. Aber beim letzten Eagles Of Death Metal-Album wäre ein kleiner Beitrag von dir doch sicher nett gekommen.

Goss: Viele Leute machen sich eine etwas falsche Vorstellung von der so genannten Desert-Szene. Es ist ja keinesfalls so, dass wir alle die ganze Zeit am gleichen Ort zusammen abhängen würden. Ich für meinen Teil lebe in Joshua Tree, Josh dagegen lebt in der Umgebung von Los Angeles.

Trotzdem war Josh Homme sonst immer ein gern gesehener Gast bei den Masters Of Reality.

Goss: Wahrscheinlich war er gerade auf Tour, als ich das Album gemacht habe. Ich weiß es nicht genau. Wir sind zwar permanent in Kontakt, aber deswegen kann ich dir ja jetzt auch nicht sagen, was er im Moment gerade treibt.
Josh ist ein viel beschäftigter Mann, wenn er von einer Tour zurückkehrt möchte er auch gerne Mal etwas Zeit mit Frau und Kind verbringen. Wie gesagt, wir sind keine verschworene Gang, die den ganzen Tag in der Wüste aufeinander hockt und Händchen hält.

Jetzt, wo die Tour kurz bevorsteht, kannst du uns ja aber mal verraten, wer denn mit John und dir zusammen auf der Bühne stehen wird.

Goss: Nein, so leid es mir tut, aber das weiß ich noch nicht. Ich muss diese Entscheidung in den nächsten ein bis zwei Wochen treffen, aber bisher habe ich mir darüber noch nicht allzu viele Gedanken gemacht.

Also brauchst du mit den Leuten keine lange Vorbereitungszeit, um das neue Material einzustudieren?

Goss: Ein paar Wochen werden da wohl ausreichen. Wir spielen zwei Wochen im Oktober in Europa und danach werden wir noch eine Weile in den Staaten touren.

Thomas Hornbruch von der deutschen Masters-Fanpage sagte mir, dass er von den Leuten kontaktiert wurde, die die Ginger Baker-Seite betreuen. Sie wollten wohl einen Kontakt zu dir und dem Ex-Masters-Mitglied Googe herstellen.
Am 19. August wird Ginger Baker 70 Jahre alt. Und angeblich will er auf seiner Geburtstagsfeier, die im Oktober in London stattfinden soll, ein Konzert geben. Du bist am 9. Oktober mit den Masters in London. Gibt es also eine Chance, dass wir ein Revival der „Sunrise On The Sufferbus“-Besetzung erleben dürfen?

Goss: Ich wäre da sofort dabei, aber ich weiß nicht, ob Ginger da auch Lust zu hätte. Mich hat diesbezüglich auch noch niemand offiziell kontaktiert.
Er lebt in Südafrika und ich sehe ihn nur alle Jubeljahre mal. Aber es wäre eine großartige Sache, noch einmal mit ihm zusammen spielen zu können. Ich habe keine Ahnung, was für Informationen Thomas da hat, aber ich halte es leider nicht für sehr wahrscheinlich, das so etwas passieren wird.

 

Auch du feierst bald einen dicken runden Geburtstag, am 21. September wirst du 50 Jahre alt. Wirst du dieses Ereignis mit einer großen Party feiern?

Goss: Nein, ich denke nicht. Es ist ja nur ein weiteres Jahr in meinem Leben.

In den Liner Notes des Albums wirkst du sehr melancholisch.

Goss: Ja, das sind Midlife-Crisis-Liner-Notes geworden, ich weiß auch nicht so recht, warum. Einerseits ist die 50 nur eine Zahl, die mich nicht in Feierlaune versetzt, andererseits hat sie mich aber auch darüber nachdenken lassen, wie kurz die Zeit ist, die wir hier auf Erden verbringen. Ich meine, es ist ein halbes Jahrhundert, aber das sind auch wieder nur fünf Jahrzehnte.
Wenn ich da an die Ägypter vor 5000 Jahren denke, erscheint mir dieser Zeitraum so unglaublich klein. Das sind 50 Jahrhunderte, und ich blicke gerade mal auf ein halbes davon zurück. Es ist ein verdammt kurzer Zeitraum, so ein Leben, und es ist ein seltsames Gefühl, sich diesen Zeitraum in Relation zur Geschichte vor Augen zu führen. Andererseits haben wir Menschen es geschafft, diesen Planeten in erstaunlich kurzer Zeit zu ruinieren.
Das ist auch das zentrale Thema der Platte. Auf bizarre Art und Weise speist sich meine Melancholie ja durch die Schwermut, die allgemein in der Luft liegt.

Handelt „The Whore Of New Orleans“ von der durch Hurrikan Katrina Ende August 2005 dort ausgelösten Flutkatastrophe?

Goss: Es geht nicht um diese spezielle Flutkatastrophe. Ich habe da ja auch die Zeile untergebracht von wegen „Hit five o’clock in the morning, the storm came in without warning“. Und bei der durch Katrina ausgelösten Katastrophe gab es jede Menge Warnungen.
Ich wollte es offen halten, es kann sich dabei um jedwede Flut handeln. Im Moment erleben wir hier auf der Erde ja eine ziemlich merkwürdige Zeit. Aber noch sind wir hier.

Nun ja. Es wird ja auch immer schwieriger, all die Endzeitszenarien wahrzunehmen, je länger man auf dieser Welt ist. Vor 20 Jahren hieß es, dass der Wald unwiederbringlich dem Ende entgegengeht. Bei der Vogelgrippe dachten viele, dass in ein paar Jahren kein Vogelgezwitscher mehr zu hören sein wird. Zuletzt die große Finanzkrise, die alles in dieser Hinsicht bislang Gewesene in den Schatten stellen sollte, und wenig später liest man schon wieder Entwarnungen, dass das Schlimmste bereits überstanden sei. So etwas stumpft ab und man verdrängt seine Angst, dass die großen Anstrengungen der Menschheit, die Erde zu zerstören, von Erfolg gekrönt sein könnten.

Goss: Ja, da gebe ich dir recht. Es ist schwierig, das alles richtig einzuschätzen. Aber trotzdem gibt es keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen.

In diesem Jahr feiern wir ja neben dem 25-jährigen Bandbestehens auch das 20-jährige Jubiläum des grandiosen Masters-Debütalbums. Kurz nach der Veröffentlichung war die Band allerdings schon aufgelöst, so dass es keine ausgedehnte Tour geben konnte und die Masters nicht zu den Überfliegern wurden, wie meine Freunde und ich das damals erwartet hatten. War der Split denn absolut unausweichlich?

Goss: Ja, leider gab es für mich damals keine Alternative. Ich hatte zu dem Zeitpunkt mit Tim, dem ursprünglichen Gitarristen, bereits seit sieben Jahren zusammengearbeitet, und was mich angeht, war es einfach nicht mehr möglich, diese gemeinsame Arbeit noch weiter fortzusetzen. Natürlich tut es mir um die verpasste Chance leid, aber die Spannung innerhalb der Band war einfach auf ein unerträgliches Maß angewachsen.
Andererseits hat der Split es ja letztendlich auch erst ermöglicht, dass ich mit Ginger zusammenarbeiten konnte, insofern hatte auch dies eine gute Seite.

Sicher. Allerdings hatte das zweite Album „Sunrise On The Sufferbus“ somit wieder eine Besetzung, die nicht im üblichen Rahmen auf Tour gehen konnte bzw. wollte.

Goss: Das ist richtig. Ich würde es aber trotzdem jederzeit wieder so machen. Was das Debütalbum angeht, so denke ich, dass es eine sehr fruchtbare, produktive Qualität hatte, die wir mit dem Nachfolger mit Ginger nicht erreicht haben. „Sunrise“ war eine eher lockere Blues-Platte, die das ganze Gewicht es ersten Albums, von der Musik bis zum Coverartwork, nicht halten konnte.

In der Tat, das Cover von „Sunrise“ steht im krassen Gegensatz zum düsteren, bedeutungsschwangeren Artwork von „Blue Garden“.

Goss: Für mich war der radelnde Hase eine Art der Flucht von eben dieser mit so viel Bedeutung aufgeladenen Phase. Auf gewisse Weise radelt der Hase dem ganzen Zirkus davon, Rick Rubin und dem ganzen Horror, der mit der Produktion des Debütalbums verbunden war. Aber ich bereue nichts von dem, was ich damals getan habe. Wenn ich überhaupt irgendwas aus den letzten 20 Jahren bereue, dann ist das der Umstand, dass ich nicht kontinuierlich auf Tour gegangen bin, nachdem Ginger die Band verlassen hatte.
Nach dem „Sufferbus“-Release ging die Single in den USA sogar in die Top-Five, die Platte bekam herausragende Reviews, und trotzdem waren absolut keine europäischen Konzerttermine geplant, aus welchem Grund auch immer. Die Plattenfirma hatte sich entschieden, uns mit Alice In Chains auf Tour zu schicken. Wir haben für sie in großen Arenen eröffnet. In der Mitte dieser Tour hatte Layne Staley dann eine Überdosis auf der Bühne und die Tour wurde abgebrochen, woraufhin Ginger sagte: „Fuck this! Das war’s für mich.“
Er war zu dem Zeitpunkt ja auch schon 54 Jahre alt, und das war also das Musikbusiness des Jahres 1993. Dafür hatte er nicht bei Cream gespielt, um jetzt für Alice In Chains die Vorgruppe zu machen und vor einem Haufen Idioten in Metallica-Shirts zu spielen, die uns auf der Bühne mit Sachen beworfen haben. Er rief mich an und beklagte sich, und ich konnte nichts anderes tun, als ihm uneingeschränkt Recht zu geben. Das Ganze war ein Alptraum. Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er die Brocken hingeschmissen hat, und ich konnte ihm auch keine 5000 Dollar pro Abend bezahlen, wie er verdammt noch mal verdient gehabt hätte.

Das Telefonklingeln unterbricht uns zum zweiten Mal – Goss: „Fuckin’ hell! How much time do I have? 5 minutes? How about ten?“) Wo waren wir stehen geblieben?

Gingers Weggang, Touren etc. Warum spielen die Masters eigentlich so selten auf den großen Festivals, auf denen gerade eine Band wie ihr euren Bekanntheitsgrad schlagartig vervielfachen könntet? Ist da Faulheit oder auch Gleichgültigkeit mit im Spiel, oder magst du es einfach nicht, vor einer großen, überwiegend alkoholisierten Masse zu spielen; in der auch viele ein Metallica-Shirt tragen?

Goss: Du liegst mit deinen Vermutungen sehr richtig. Gleichgültigkeit ist wohl ein wichtiger Punkt, wenn es um all unsere verpassten Chancen geht. Außerdem auch Frustration mit dem Business. Auf so einem Festival hat man mit vielen Idioten zu tun.
Aber in erster Linie liegt es wohl daran, dass wir einen Scheiß auf den so genannten Erfolg geben. Zur gleichen Zeit liebe ich, was ich tue, und vielleicht tue ich es nicht mit der nötigen Hingabe oder Besessenheit. Ich weiß es doch auch nicht.

Fühlst du dich auf den ganz großen Bühnen denn überhaupt wohl?

Goss: Ich kann durchaus vor 40.000 oder mehr Zuschauern auftreten. Aber ich bin schon immer gerne in der Lage, alles auf ein softes Level bringen zu können und nicht die Erwartungen einer Masse erfüllen zu müssen. Idealerweise habe ich Auftritte in alten Theatern. Da kann die Dynamik eines Songs durchaus mal sehr sanft werden, um dann im nächsten Moment wieder laut auszubrechen.
Auf einer Riesenbühne sind solche Nuancen wesentlich schwieriger umzusetzen. Die Übertragung von Musik auf einem Stadionlevel kann sehr wohl ein Spektakel sein, wenn es souverän gemacht ist. Ich denke da an Pink Floyd, Led Zeppelin oder U2. das ist große Kunst, wenn diese Bands ihre speziellen Momente haben. Dann wieder denke ich, dass bei all meiner Liebe zur 70er-Progmusik, Yes und solche Sachen, oder auch Joe Zawinul, dass ich die Vulgarität einer Stadionatmosphäre verabscheue.
Ich bin in dieser Hinsicht sehr widersprüchlich, und das ist mir auch voll bewusst. Diese Reibung, die aus dieser Widersprüchlichkeit entsteht, hat mich einerseits zu mancher musikalischer Großtat geführt, andererseits aber auch zu den schlechtesten geschäftlichen Entscheidungen verleitet. Ich bin ein furchtbarer Geschäftsmann. Und ich gestehe den Masters-Fans auch das volle Recht zu, sich gleichgültig behandelt zu fühlen.  

Bei der mangelnden Kontinuität ist es natürlich schwer, sich über die Jahre eine treue und solide Fanbasis aufzubauen. Wie ist das denn heute bei MOR-Konzerten? Kommen da auch noch die Leute, die schon Ende der 80er da waren? Bringen die heute ihre Kinder mit?

Goss: Haha. Schwer zu sagen, durch die langen Pausen verliert man da leicht den Überblick. Die Zeit fliegt mir eigentlich ständig davon. Manchmal, wenn ich mit einer Band im Studio bin, mit der es sich gut anfühlt, dann denke ich mir: „This is great, this is what I wanna do!“

Wen hast du dabei jetzt im Kopf?

Goss: Zum Beispiel diese britische Band Eighties Matchbox B-Line Disaster. Das war eine absolute Freude, diese Band aufzunehmen, an jedem einzelnen Tag. Das sind fantastische, junge, brillante Musiker, die die Dinge auf ihre ganz eigene Art angegangen sind und ganz neue Wege gefunden haben. Ich habe von den Jungs auf jeden Fall mindestens genauso viel gelernt wie sie von mir. Die haben für mich gewisse musikalische Barrieren eingerissen, so dass ich heute manche Dinge auf eine andere Weise angehe als zuvor. Und sie sind (waren) gerade mal verdammte 22 Jahre alt.
 Wenn ich also in einer Situation bin, wo ich mit einer Band wie dieser in einem Studio bin und die ganze Zeit lache, weil es so brillante, geistreiche, talentierte Kids sind, und ich dafür auch noch exzellent bezahlt werde, dann liebe ich meinen Job. Und auch mein Leben. In diesem Moment denke ich, dass das genau das ist, was ich gerne tun möchte.

Was waren sonst noch Höhepunkte deines Schaffens als Produzent?

Goss: Die beiden Kyuss-Alben „Blues For The Red Sun“ und „Sky Valley“ gehören auf jeden Fall auch dazu. Eine ähnliche Geschichte, es hat einfach nur Spaß gemacht. Man wacht morgens auf, öffnet die Augen und möchte als erstes die Bandmaschine anwerfen und sich anhören, was man da bis fünf Uhr in der Früh aufgenommen hat. Auch die Produktionen der Masters-Alben sind und waren Höhepunkte für mich. Mit John zu spielen ist immer eine Freude, besonders im Studio.

Und was magst du so gar nicht?

Goss: Diese ganze beschissene Organisation mit Webseiten, Crews, Agenten, Nightliner, alles, was es zu regeln gibt, bevor man sich auf den Weg in die Welt machen kann. Diese ganzen Details überfordern mich einfach. Und ich habe einfach nie einen Manager gefunden, der mir diese Dinge vom Hals hält und nur mit mir abspricht, welche Sache wir wie machen sollen und welche nicht.
Jemanden, der die Masters on the road bringt und auch dafür sorgt, dass wir dabei ein wenig Geld verdienen. Das ist doch der Traum: Jeden Abend auf die Bühne zu gehen und sein Bestes zu geben und sich ein angenehmes Leben leisten zu können. Wir hingegen hatten ja noch nie eine ordentliche Lightshow, die unsere Musik adäquat ergänzt hätte. Ich hatte das all die Jahre im Kopf, und es hätte so großartig werden können, aber letztendlich wurde es nie realisiert. Ich sehe die Songs in meinem Kopf, wie sie visuell umgesetzt werden sollten, ich sehe uns auch auf großen Stadionbühnen, aber…

(das Telefon klingelt zum dritten Mal…) So, wir müssen leider aufhören. Ich habe dir alles so offen und ehrlich erzählt, wie ich es sehe, auch wenn ich nicht glaube, dass ich dir irgendetwas Neues verraten habe.

Letzte Frage: Dein Vater war Deutscher, du bist aber nicht in Deutschland geboren.

Goss: Nein.

Hast du denn jemals deine Wurzeln erforscht, oder interessiert dich das nicht?

Goss: Hmm, da kommt vermutlich wieder meine generelle Gleichgültigkeit ins Spiel. Meine Frau erinnert mich immer daran, dass wenn deine Familienmitglieder erst gestorben sind, gibt es keine Möglichkeit mehr, etwas über seine Wurzeln zu erfahren. In letzter Zeit hat mich das schon beschäftigt, ich würde schon gerne mehr über meine Herkunft wissen. Andererseits: Man spielt im Leben mit den Karten, die einem gegeben werden.

(Das Telefon klingelt zum vierten Mal.)

Shit, ich würde gerne weiterreden, denn du bist der erste Interviewer, der wirkliches Interesse zeigt. Ich bin morgen in München, ruf mich doch einfach an und wir vollenden das Ganze.

 

 

Zweites Interview, 22.07.2009, Telefon

Noch einmal zurück zum Albumtitel. „Cross Dover“ ist ein Wortspiel, das hier ein wenig seltsam anmutet. Oder wo siehst du den Crossover auf dem Album?

Goss: So habe ich die ganze Sache ehrlich gesagt gar nicht betrachtet. Aber sicherlich ist die Platte auch ein Crossover?

Aus welchen Elementen?

Goss: Gar nicht so sehr musikalisch gesehen. Cross Dover kann zum Beispiel sterben bedeuten. Es kann sich auf den englischen Kanal beziehen und genauso für eine stürmische See stehen. Ich glaube, dass ich dabei im Hinterkopf hatte, den Abgrund zu überqueren.

In jedem Falle finden sich auf dem Album viele Referenzen zum Ozean. Die Liner Notes hast du sogar an einem Tag am Strand geschrieben.

Goss: Oh ja. Aber dass die See so präsent auf dem Album ist, habe ich erst festgestellt, nachdem das Album fertig war. Das geht mir übrigens meistens so, viele Dinge mache ich unterbewusst, ohne mir über die offensichtlichen Zusammenhänge klar zu sein. Ich weiß einfach oft gar nicht genau, was ich eigentlich tue. Am Ende stellt sich vielleicht heraus, dass ich eine Hommage an das Meer fabriziert habe, doch während ich es tat, war mir das überhaupt nicht klar. Als ich die Liner Notes geschrieben habe, war es ein sehr kalter Tag im Mai, was den Strand für mich erst erträglich gemacht hat, denn eigentlich mag ich den Strand nicht.
Die übliche Hitze dort macht mich fertig, ich fühle mich dann immer, als würde ich bei lebendigem Leibe geröstet. Aber dieser Tag war unglaublich, es war stürmisch und kalt und das Meer tobte. Das fühlte sich großartig an, und da ich mein Notebook mit dabei hatte, habe ich eben angefangen zu schreiben. So kam dann eins zum anderen, die Liner Notes wurden am Meer geschrieben, das Meer ist auf dem Cover und taucht auch in manchen Texten auf. Das war ein zufälliges Zusammentreffen.

Ist das mit dem Mond genauso? Den findet man ja in vielen Song- und Albumtiteln von dir. „Moon In Your Pocket“ heißt ein Song auf „Sunrise On The Sufferbus“, die Live-Platte der Masters ist „How High The Moon“ betitelt. Und sogar bei deiner anderen Band Goon Moon taucht er im Namen auf.

Goss: Ja, wir haben wohl eine besondere Beziehung zueinander. Aber genau beschreiben kann ich dass auch nicht.

Kannst du denn bei Vollmond gut schlafen?

Goss: Nein, überhaupt nicht. Wie ist das bei dir?

Genauso. Bei Vollmond passieren mir die merkwürdigsten Dinge, eine ruhige Nacht habe ich dann jedenfalls selten.

Goss: So geht es mir auch. Es muss nicht negativ sein, aber die Nacht ist fast immer seltsam. Der Mond ist natürlich auch ein klassisches Motiv für Künstler. Genau wie die Erde hat der Mond kein eigenes Licht, er borgt sich sein Licht von der Sonne. Ohne die Sonne würde der Mond gar nicht existieren können. Zumindest könnten wir ihn nicht sehen. Die Faszination lässt sich einfach beschreiben. Ich mag den Nachthimmel. Diana und die Nummer 9 in der klassischen Mythologie. Auf gewisse Weise übt der Mond eine beruhigende Wirkung auf mich aus.

Sprechen wir mal über die Songs. Der Opener heißt „King Richard TLH“ – wofür steht das TLH?

Goss: Für “The Lion Heart”.

 

Originalcover der Radiosingle gestaltet von John Leamy dem Drummer der Masters of Reality

 

Oh, sicher, was für ne doofe Frage. Im Info steht, der Song sei eine Hommage an das Mahavishnu Orchestra. Da wäre ich ehrlich gesagt nie drauf gekommen.

Goss: Der Song? Unfug. Diese Aussage bezog sich auf „Johnny’s Dream“ und „Alfalfa“. Von den Harmonien her gibt es da gewisse Ähnlichkeiten.

Bei „Worm In The Silk“ kann man die Einflüsse von PIL hingegen erkennen. Was fasziniert dich an PIL so besonders?

Goss: Das Bassspiel von Jah Wobble. Er ist für mich das Grundgerüst dieser Band. Sein Bassspiel ist fantastisch. Ich hätte mir gewünscht, dass er noch mit viel mehr Rockbands gespielt hätte. Ich sollte ihn mal wieder anrufen. Er lebt jetzt in Manchester, weil er mit London nicht mehr klar gekommen ist. Aber wenn ich nach London komme, werde ich ihn mal kontaktieren und fragen, ob er nicht auf der nächsten Platte von UNKLE spielen möchte. Jedenfalls hat es mir großen Spaß gemacht, den Song „Worm In The Silk“ zu komponieren, besonders die Vokalharmonien. Ich hatte das Gedicht „Gerard Gerard“ schon eine ganze Weile in der Hinterhand und jetzt hatte ich endlich die Gelegenheit es unterzubringen. Ich denke, die Liste am Ende erklärt die Intention ganz gut.

Im Info ist noch ein seltsames Zitat von dir: „Diesmal habe ich ein Rock’n’Roll-Album aufgenommen.“ Wie würdest du denn dann die Vorgänger einordnen?

Goss: Natürlich sind alle Platten von mir Rock’n’Roll. Ich habe auch keine Ahnung, wo sie dieses Zitat von mir hergenommen haben.

Außerdem bist du angeblich stolz, dass auf dem Album keine akustischen Gitarren zu hören sind.

Goss: Daran kann ich mich ausnahmsweise erinnern, das habe ich tatsächlich gesagt. Aus meiner Liebe zu Led Zeppelin, aber auch zu den Beatles und John Lennon, hat sich das entwickelt, dass ich einem harten Rockriff gerne akustische Gitarren gegenüberstelle. „Rubber Soul“ war wohl die erste Platte, wo auf einen akustischen Song ein regulärer Beatles-Song folgte.
Die Beatles hatten angefangen, Pot zu rauchen und verschiedene Gitarrenstrukturen zu kombinieren. Was ich mit meiner Aussage herausstellen wollte ist, dass es für mich diesmal nicht in Frage kam, wieder eine Art Led Zeppelin-Platte zu machen. Andererseits sollte es aber auch keine Hippie-Platte werden.

Wenn du auf die gerade mal fünf Studioalben der Masters zurückblickst, welche gefällt dir da heute am wenigsten? Bei den Kritikern schneidet ja „Welcome To The Western Lodge“ nicht so gut ab.

Goss: Das ist interessant. Ich würde gerne wissen, ob diese Leute das heute, zehn Jahre später, immer noch so sehen. Wie auch immer, für mich ist das schwer zu sagen, weil ich die Musik immer durcheinander bringe mit den Dingen, die zu der Zeit in meinem Leben abgegangen sind. Oft sind ziemlich unschöne Sachen passiert. Dann finde ich den Song zwar gut, aber die Umstände, unter denen er entstanden ist und aufgenommen wurde, gefallen mir weniger. Auf jeden Fall habe ich große Probleme damit, mir unser erstes Album heute noch anzuhören.

Wie kommt das?

Goss: Es gibt nicht wieder, wie wir damals geklungen haben, wenn wir live gespielt haben. Es war Rick Rubins Interpretation davon, wie wir seiner Meinung nach hätten klingen sollen. Wir klangen nicht so clean und trocken, sondern vielmehr betrunken und schlampig.
Live war das mehr wie Joy Division meets Marilyn Manson und Motörhead. Rubin hat uns dann so einen fleischigen Lynyrd Skynyrd-Sound verpasst und mir einen Cowboyhut aufgesetzt.

Auf welches Stück deiner Arbeit bis du am meisten stolz?

Goss: Ich denke da weniger an Alben, deswegen kann ich da nur einzelne Songs nennen. Für mich sind auf „Western Lodge“ einige Stücke, die noch unterentwickelt sind. Da sind verschiedene Sachen miteinander verwoben worden, um diesen Makel auszugleichen.
Das ist ähnlich wie auf der B-Seite von „Abbey Road“, wo verschiedene Versatzstücke von Beatles-Songs zusammengeschmolzen wurden.

Welche Songs meinst du da?

Goss: „Mean Mr. Mustard“ oder „She Came In Through The Bathroom Window“ sind gute Beispiele. Da sind viele kleine Ideen zu einem Medley verwoben worden, und das war auch die Idee hinter „Western Lodge“. Leider haben einige Songs während dieses Prozesses gelitten, sie hätten noch weiter entwickelt werden müssen, damit ich damit glücklich gewesen wäre.
Aber auf diesem Album sind auch ein paar Songs, die zu meinen Favoriten gehören. Ich liebe „It’s Shit“. Und auch „Time To Burn“ mag ich sehr, auch wenn das Leadsolo etwas länger hätte sein können. „Lover’s Sky“ ist auch sehr schön…

Was ist mit eher untypischen Songs wie „Doraldina’s Prophecies“?

Goss: Oh ja, das ist auch einer meiner Lieblingssongs, zumindest aus der frühen Phase. Auf „Deep In The Hole“ sind auch viele tolle Songs, obwohl der Sound auf dem Album etwas zu dünn geraten ist. Wir haben damals noch mit einer sehr frühen Variante von Pro-Tools gearbeitet. „Counting Horses“ ist gut gelungen. Aber du siehst schon, dass ich zu meinem Schaffen gemischte Gefühle habe.

Du bist offenbar nie so ganz zufrieden, sondern hast an den Details gerne etwas auszusetzen.

Goss: Ja, das ist wohl so. ich bin nicht leicht zufrieden zu stellen. Das Beste, was ich bisher zustande gebracht habe, ist meiner Meinung nach „Rabbit One“ mit Ginger Baker.

Siehst du dich selbst als einen konservativen Musiker?

Goss: Kommt drauf an, wie du konservativ definierst?

Anders gefragt: Begrüßt du all die Hilfsmittel, die den Musikern das Handwerk erleichtern oder siehst du das eher als Verrat an der Kunst?

Goss: Es ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Ich benutze Pro-Tools genauso, wie ich auch eine Bandmaschine benutze. Ich versuche immer, so wenig Spuren wie nur möglich einzusetzen. Ich nehme nicht 60 Gitarrenspuren, nur weil ich die Möglichkeit dazu habe. Da kommt dann auch wieder meine Faulheit ins Spiel. Es ist mir viel zu anstrengend, über so viele Sachen den Überblick zu behalten.
Man muss das Digitale wie eine Hure behandeln, denn genau das ist es. Wenn du zu vorsichtig damit umgehst, wird das Resultat schwächlich ausfallen. Ich benutze ich solche Sachen lieber auf falsche Art und Weise und versuche damit, das Ganze dreckiger klingen zu lassen als mit analogen Geräten. Man muss es hart anfassen, sonst macht es keinen Sinn.

Immerhin kann man mit digitalen Aufnahmegeräten eine Menge Zeit sparen.

Goss: Das ist sicher richtig. Alles geht schneller. Früher gab es im Studio immer einen Moment der Stille, wenn das Tape zwischen zwei Takes zurückgespult wurde. Seit Pro-Tools das Regiment übernommen haben, ist das nicht mehr so. Die Leute klopfen auf irgendwas rum, tippen auf ihrem Laptop oder schauen sich was auf YouTube an. Die Aufnahme ist nicht mehr so wichtig, weil alles in seine Einzelteile zerlegt werden kann.
Als man noch auf eine kleinere Anzahl von Spuren limitiert war, war jede einzelne Spur sehr wertvoll und man ist entsprechend pfleglich damit umgegangen. Heute bringen die Leute dem Aufnahmeprozess nicht mehr diesen Respekt entgegen, weil es eben Pro-Tools gibt. Als man noch die Zeit nehmen musste, um das Band zurückzuspielen, hatte man zwei Minuten der Besinnung, in denen man sich überlegen konnte, ob man nicht ein anderes Gitarrensolo spielen oder die Gesangsspur ändern wollte.
Heute ist dieser Raum für kleine Ideen nicht mehr gegeben. Heute drückt man sofort wieder auf die Aufnahmetaste, was den Aufnahmeprozess natürlich enorm beschleunigt hat. Man muss die Tapes auch nicht mehr wechseln, wenn man an einem anderen Song arbeiten möchte. Einerseits ist es für Rock’n’Roll eine gute Sache, wenn alles recht schnell geht, aber andererseits hat sich beim Aufnehmen auch eine Art Videospielmentalität eingeschlichen, die mir weniger gefällt. Ach ja, ich glaube, ich bin grundsätzlich kein großer Freund der Zeit, in der wir heute leben. Es gab eindeutig bessere Zeiten, um wirklich kreativ zu sein.

Das denke ich auch. Zum Abschluss noch die Frage nach den Widmungen. Das Album ist unterzeichnet mit „In Loving Memory of Harry J Leamy and Joe Zawinul“. Harry J Leamy war offenbar ein Verwandter von John Leamy.

Goss: Oh ja, sehr traurig, dass Harry und Joe nicht mehr unter uns weilen. Es ist ein schlimmer Gedanke, dass ich Joe Zawinul nie mehr werde spielen sehen. Dieser Mann hat in mir solch große Hoffnung geweckt, dass man im Musikbusiness eben doch in Würde alt werden kann und dabei bis an sein Ende Musik machen. Sein Keyboardspiel ist in all den Jahren niemals cheesy geworden. Die meisten Keyboardspieler machen nur noch fürchterliches Balladen-Piano-Zeug, wenn sie älter werden. Joe hat noch auf der letzten Tour richtig krasse Synthesizer-Sounds gespielt. Auch mit 75 Jahren klang er noch frisch und knackig. Auch wenn das, was er gespielt hat, schon seit 1986 nicht mehr hip war. (Harry Leamy war übrigens John Leamy´s Vater)

War er ein persönlicher Freund von dir?

Goss: Nein, leider nicht. Nur ein musikalischer Meister. Den Nachrichten war sein Tod nicht einmal eine Meldung wert. Hör mal, ich bekomme gerade gesagt, dass wir zum Flughafen aufbrechen müssen.

Schade, aber nicht zu ändern. Danke für die beiden Interviews!

Goss: Ich danke dir für deine Zeit. Und wenn du Lust hast, komm mich doch mal in Joshua Tree besuchen, da können wir dann ohne Zeitdruck die ganze Nacht durchquatschen…

 

                                                          

 

                                                DD, Danke Dirk ;-)