Artikel © VIVA 2001

 von Constantin Arvanlis

2019 masters of reality viva 2001
(RIP VIVA 31.12.2018 14 Uhr)

"Mich reizt das Ende im Allgemeinen"

Er hat Kyuss entdeckt, an unzähligen Alben anderer Künstler (Soulwax, Screaming Trees, Stone Temple Pilots etc.) mitgewirkt und bereits Musikgeschichte geschrieben. Die Rede ist von Chris Goss, Gründer und Kopf der Masters Of Reality, die uns schon seit den 80-ern mit ihrer ureigenen Mischung aus Blues und Heavy-Rock beglücken. Sie gehören zu den Wegbereitern des Stoner-Rocks, wie man ihn heute kennt.

2019 viva goss


"Alles  kommt von  selbst  aus unseren  Köpfen  und  Herzen, nichts ist
 konstruiert, es gibt keine Zwänge - und wir haben verdammt viel Spaß":
 Mister Stoner-Rock Chris Goss hat gesprochen.

 

Sein Veröffentlichungspolitik sorgt immer wieder für Überraschungen - nach dem Debüt musste man vier Jahre auf Neues warten. Für Album Nummer drei brauchte er sogar sieben Jahre. Umso überraschender, dass bereits im Herbst 2001 das neue Album "Deep In The Hole" erschien, nur zwei Jahre nach der Comeback-Scheibe "Welcome To The Western Lodge". Grund genug, sich mit Chris Goss in der Frankfurter "Batschkapp" zu unterhalten. Dort waren die Masters anlässlich einer kurzen Deutschland-Clubtour anzutreffen.

VIVA: Wir waren überrascht, dass nach gut zwei Jahren schon wieder eine neue MOR-Platte veröffentlicht würde ...

Chris Goss: Geplant war das nicht. Der Grund ist ganz einfach: Ich habe mittlerweile mein eigenes Studio, in dem ich machen kann, was ich will und wann ich es will. Es ist ein mobiles Studio, das ich innerhalb eines Tages aufbauen kann. Momentan ist es in Palm Springs.

VIVA: Im Gegensatz zum Vorgänger sind auf "Deep In The Hole" jede Menge Gastmusiker dabei. Zum Beispiel Nick und Josh (Queens Of The Stoneage) und Mark Lanegan (Gründer der Screaming Trees). Hattet ihr Lust auf Gesellschaft im Studio?

Chris: Bei den Aufnahmen war es das erste Mal, dass die meisten Freunde und Bekannten, die hin und wieder auf unseren Alben mitwirkten, mal ausnahmsweise nicht auf Tour waren. Fast alle hingen in Los Angeles herum, das kam uns sehr entgegen. Josh war beispielsweise im Joshua Tree Studio und nahm dort die Desert Sessions 7 & 8 auf. Zur gleichen Zeit waren John (Leamy, zweites Masters Of Reality-Mitglied, die Red.) und ich auch dort, um die Aufnahmen aus unserem Heimstudio zu vervollständigen. Alle anderen Musiker wirkten entweder bei den Desert Sessions mit oder waren wegen anderweitigen Verpflichtungen zufällig im gleichen Studio oder gerade in L.A. erreichbar. Es war einfach wunderbar, alle diese Leute um sich zu haben. Es war stellenweise wie eine große Party! Wir lachten oft mehr als wir arbeiteten und lachten viel während den Aufnahmen, so sollte das auch sein. Das ist Rock'n'Roll, Mann! Alles kommt von selbst aus unseren Köpfen und Herzen, nichts ist konstruiert, es gibt keine Zwänge - und wir haben verdammt viel Spaß! Nur so können und wollen wir arbeiten.

VIVA: Im Gespräch war auch, dass MOR eine gemeinsame Tour mit QOTSA/Desert Sessions machen. Die meisten Musiker, die auf der neuen Platte mitwirken, sind ja in diesen Projekten involviert. Ist das vielleicht für 2002 geplant?

Chris: Wir wollen so etwas durchziehen. Mittlerweile ist ja eine große Anzahl Musiker in all diesen miteinander verbundenen Bands und Projekten verstrickt, so an die 20 Leute. Mal sehen, wer dabei sein wird, es entsteht ja alles freiwillig. Wer Zeit und Lust hat, klinkt sich ein, und dann schauen wir mal, was geht. Frei nach dem Motto: 'Desert Music Service ... what do you need???'

VIVA: Die neue Platte klingt viel beschwingter als der Vorgänger "Welcome To The Western Lodge", sie hat wieder diesen erdigen, bluesigen Rocksound.

Chris: Ja, wir gingen viel spontaner vor. 'Welcome ...' war eher dunkel, die Einstellung ging in die Richtung 'little pissed off'. Deswegen liebe ich dieses Album. Im Studio hatten wir damals jede Menge Kerzenlicht und Gras zur Verfügung. Dieses Mal hatten die Aufnahmeräume Fenster mit viel natürlichem Licht, das schlug sich auch gleich nieder.

VIVA: Mit Josh zusammen hast Du "Roof Of The Shed" geschrieben, eine melancholische Ballade. Man würde bei dieser Konstellation eher Rockiges erwarten ...

Chris: Ich mag die ruhige Seite des Rocks, das erinnert mich oft an Sachen, die ich in meiner Jugend hörte, wie die Beatles oder Led Zeppelin. Oft wechselten auf diesen Platten die Stimmung und die Ausdrucksweise ruckartig, das gefiel mir. Den Song haben wir bereits vor sechs Jahren geschrieben. Wir spielten ihn, jeder auf seiner Gitarre, oft zusammen auf der Veranda, just for fun.

VIVA: "Major Lance" klingt stark nach den Beatles. Ein großartiger Ausflug in die "Sgt. Pepper"-Zeit. Gänsehautmäßig!

Chris: Danke, Mann. Der Song spukte schon seit 15 Jahren in meinem Kopf herum. Damals, 1986, wohnte ich in einer kleinen Wohnung, dort war eine unglaubliche magische Präsenz zugegen, ich schrieb wahrscheinlich ein Dutzend Songs dort! Ich kochte gerade etwas in der Küche, als mir dieses Lied einfiel, ich sang es auf einmal vor mich hin, hatte gleich Text und Melodie im Kopf, echt strange! Ich vergaß es nie mehr! Vor ein paar Jahren fand ich zufällig in einem Plattenladen eine Scheibe von "Major Lance". Ich fand heraus, dass es ein Soulsänger aus den 60-ern war, der damals einige Hits hatte, einer davon hieß "Monkey Time". Mein Studio heißt "Monkey Studio". Vielleicht lebte Major Lance ja vor mir in dieser Wohnung, wer weiß!

telesschau: George Harrison ist tot. Was hast Du gefühlt, als Du es gehört hast?

Chris: Nun, er ist jetzt von seinen Qualen erlöst, er kämpfte ja schon lange gegen den Krebs, und die letzten Jahre haben auch nicht gerade zur Besserung seines Leidens beigetragen. Ich denke, er war der Beatle, der sich mehr als alle anderen seinen Arsch aufriss und richtig für seine Songs ackerte. Er war ein liebevoller und wunderbarer Songwriter. So viel Liebe in seiner Musik! Für mich war er einer der zartesten Gitarrenspieler. Wenn ich sein Spiel hörte, wusste ich sofort, dass er es war. Ein großer Verlust! 2001 war diesbezüglich ein Scheißjahr. Wir verloren auch Joey Ramone, ein musikalisches Genie. Und dann auch noch diese furchtbaren Terroranschläge!

VIVA: Wenn wir gerade von 2001 reden, im Booklet Eurer neuen CD gedenkt ihr Stanley Kubrick. Hatten seine Filme Einfluss auf Deine Musik?

Chris: Ja, auf jeden Fall. Vor allem "Clockwerk Orange" hat mir sehr gefallen, ein wichtiger Film für mich. Kubrick war besessen von seiner Kunst, einzigartig auf seine Weise. Er scherte sich nicht darum, was das Studio über seine Projekte dachte, er zog es einfach durch.

VIVA: Gibt es ein zentrales Thema auf "Deep In The Hole"?

Chris: Grundsätzlich geht es in meinen Texten um Schicksal, Pech und um verschiedene Betrachtungsweisen des Todes, auch Selbstmord. Mich reizt das Ende im Allgemeinen: Ende einer Periode, eines Lebens oder einer Ära.

VIVA: Welche Party besingst Du in "High Noon Amsterdam"? Magst Du die Stadt?

Chris: Ausschlaggebend für diesen Song war eine Textzeile aus Keith Richards erstem Soloalbum 'Talk Is cheap'. Dort heißt es: 'Take a look around, what do you see, most of what you've got is free.' Ich liebe diese Zeilen! Weißt Du, für mich ist das Touren mit meinen Leuten frei. Es ist einfach da, und ich gebe es an die Fans weiter. Wir werden nicht reich davon, wir können gerade mal unsere Kosten decken. Und diejenigen, die sich keine Platten oder Shows von uns leisten können, nehmen die Musik von Freunden auf oder ziehen sie sich aus dem Internet. Wenn man will, kann man fast alles umsonst haben. Darum geht's in diesem Song. "High Noon Amsterdam" ist nur eine Textzeile darin, es geht nicht um die Stadt selbst.

VIVA: Bekanntlich bist Du ja auch in jede Menge anderer Projekte verstrickt. Auf welchen Platten wirst Du in Zukunft mitwirken?

Chris: Mit Mark Lanegan werde ich in naher Zukunft wieder zusammenarbeiten. Ich bin gespannt. Für mich ist Mark wie Keith Richards; er ging durch die Hölle, rappelt sich aber immer wieder auf und verbringt Großes. Das hört man immer wieder in Marks Stimme. Ein großer Künstler, der viel mehr Beachtung verdient hätte. Außerdem arbeite ich zurzeit mit einem Mädchen namens Roxy Saint zusammen. Eine Mischung zwischen Madonna und Marilyn Manson! Ihre Webseite ist
www.roxyroxy.com. Wir haben ein Video für ihren Song "Firecracker" gemacht, das auch auf dieser Seite zu finden ist (in dem Clip sind auch Josh und Nick von Queens Of The Stoneage zu sehen, die Red.). In einer Szene liegt sie in einer Badewanne voller Blut, es ist ihr eigenes! Roxy hat darauf bestanden.

VIVA: Mit Sony habt Ihr vor ein paar Jahren schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb hast Du mit "Brownhouse Recordings" Dein eigenes Label gegründet. Unabhängigkeit scheint mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der Bandpolitik zu sein.

Chris: Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Leute, die heutzutage ein Majorlabel leiten, immer weniger am Künstler und seiner Musik interessiert sind. Es geht mehr und mehr um Profit. Früher wurde noch an den Musiker geglaubt, die Firmen schmissen ihn nicht gleich raus wenn die Verkäufe mal nicht stimmten. Heute hörst Du nur: 'O.k., Dein Vertrag läuft aus, Du hättest ja mehr verkaufen können. Also, dann: Auf Wiedersehen.' Auf so eine Scheiße hab' ich keinen Bock mehr. Jetzt bin ich mein eigener Boss und muss mich nicht mehr rechtfertigen.

VIVA: Was hälst Du von dem ganzen Alternative-Rock- und Nu-Metal-Zeug? Gibt es Bands, die Du musikalisch akzeptierst?

Chris: Papa Roach ist ganz annehmbar, aber ansonsten interessiert mich das kaum. Creed beispielsweise finde ich richtig zum Kotzen. Ich hasse sie. Vor allem den Sänger, der immer so einen auf 'schaut-auf-mich-ich-sage-etwas-Wichtiges' macht. Ein Poser. Marilyn Manson ist klasse, weil er sein Ding durchzieht. Er ist ein wahrer Künstler! Radiohead und Björk sind auch ganz oben auf meiner Hitliste.