© Visions August 1998

Autor: Dirk Siepe

Bilder: M.Hausschild

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Meister ohne feste Gesellen

Chris Goss begleitet der Ruf, ein seltsamer Kauz zu sein. Verbindungen mit Plattenfirmen sind bei ihm nie von Dauer, seine Band bringt es in 17 Jahren auf gerade mal zwei reguläre Alben, und in Journalistenkreisen sagt man ihm nach, launisch und mundfaul zu sein.
Letzteres ist bei dem genialen Produzenten und Song- writer, der auf den ersten Blick wie eine sympathische Version der Rödelheimer Hartwurst Moses Pelham wirkt, jedoch kein Dauerzustand.

Im Gegenteil: Obwohl ich dank dreier Unfälle auf der Autobahn nach Oberhausen fast eine Stunde zu spät komme und die Band vor dem erst zweiten Deutschland-Auftritt ihrer Geschichte noch schwer vom Jet-Lag gezeichnet ist, zeigt sich das schwergewichtige Oberhaupt unerwartet interessiert und umgänglich.

Auch die Tatsache, daß zu den ersten beiden Gigs kaum mehr als hundert Zahlende erschienen sind, stimmt ihn nicht weiter traurig. Hauptsache, er kommt überhaupt mal wieder ans Licht und unter die Leute, nachdem er die letzten anderthalb Jahre fast ausschließlich hinter Studiotüren verbracht hat. Allerdings nicht, um endlich das hartnäckig angekündigte, aber immer wieder verschobene neue Werk fertigzustellen, sondern um die Aufnahmen der Band The Flys sowie von den Wüstenrockern Fatso Jetson und Ex-Cult-Sänger Ian Astbury zu produzieren. “Allein mit Ian waren es jetzt sieben Monate", erzählt Goss. “Ich lasse einer Band, die ich mag, immer alle Zeit der Welt, denn unter Druck kann man nicht vernünftig arbeiten. Das liebe ich so am Studio, daß es eine eigene kleine Welt ist, ein abgeschlossener Mikrokosmos, in dem das Draußen nicht zählt. Wenn die Bandmaschine läuft, ist alles andere egal, da könnte selbst der 3. Weltkrieg ausbrechen, und es würde mich nicht interessieren."
Nun hat sich der Mann, dem wir u.a. den Sound der letzten drei Kyuss-Scheiben zu verdanken haben, in Palm Springs seinen neuen Privat-Mikrokosmos eingerichtet. Doch trotz der Freundschaft und der räumlichen Nähe zu Josh Homme und John Garcia ist Chris weder am kommenden Queens Of The Stone Age-Album beteiligt, noch wird er die Aufnahmen beaufsichtigen, die Garcia gerade mit den Ex-Karma To Burn-Leuten in Angriff nimmt bzw. mit seiner neuen Band Unida bald angehen wird. “Zum einen hätte es zeitlich nicht hingehauen, zum anderen haben die beiden inzwischen so viel gelernt, daß sie auf meine Hilfe nicht mehr angewiesen sind. Vor allem Josh geht mittlerweile so versiert mit der Studiotechnik um, daß ich überhaupt nicht böse bin, daß er mich nicht gefragt hat." Laut Goss ist übrigens der einzige Grund, warum QOTSA nicht - wie von uns vorschnell vermeldet - im Vorprogramm der Masters-Tour spielen, die Terminproblematik. Nun hat man mit den Schweden Silverbullit einen sicherlich ebenbürtigen Ersatz an Bord, der aber mangels Bekanntheit kein zusätzliches Publikum zieht.

Doch kommerzieller Erfolg und finanzielle Sicherheit spielen für Mr. Goss sowieso eine höchstens untergeordnete Rolle. Was wiederum nicht heißen soll, daß er dem Mammon gänzlich ablehnend gegenüberstünde. In dem allenfalls mittelmäßigen Action-Streifen “Marked For Death" von 1989 sind MOR nicht nur auf dem Soundtrack vertreten, sondern auch als Live-Band in einem Club zu sehen, wo sie mit “Domino" eine Massenprügelszene musikalisch untermalen. “Der Film ist natürlich scheiße", gesteht Chris, “aber es war eine Menge Geld für wenig Arbeit. Steven Seagal war damals bei uns ein großer Star, und der Film war an den Kinokassen wochenlang die Nr. 1. Ich bekomme dank dieser Sache immer noch regelmäßig Kohle aufs Konto überwiesen." Wenn er wählen könnte, würde er gern einmal Musik zu einem Werk von Martin Scorsese oder David Lynch beisteuern, aber das wollen wohl viele, und ohne eine potente Plattenfirma im Rücken werden solche Träume selten wahr. Momentan ist Goss nämlich an keinen Geldgeber vertraglich gebunden, und das gibt ihm ein “tolles Gefühl, weil man niemandem gegenüber in irgendeiner Hinsicht verantwortlich ist."

Nachdem das grandiose selbstbetitelte Debütalbum 1988 den guten Ruf von Rick Rubins ‘Def American’-Label nicht unwesentlich mitgeprägt hatte, lief nichts so, wie es sollte. Gleich nach der obligatorischen Tour gingen Drummer Vinnie Ludovico und Gitarrist Tim Harrington, der auch viele Songs mitgeschrieben hatte, von Bord des Masterships und gründeten die Doom-Rocker The Bogeymen, die aber nach einer Platte in der Versenkung verschwanden. Goss und Bassist Googe überbrückten die Zeit mit dem Re-Release des Albums auf ‘Delicious Vinyl’, was recht erfolgreich verlief, da hier als Bonustrack “Doraldina’s Prophecies" enthalten war, der erste und bislang einzige Single-Hit der Band. Mitte ‘93 nahmen sie mit Cream-Trommler Ginger Baker “Sunrise On The Sufferbus" auf, und auch wenn die bejahrte Schlagzeuglegende kein dauerhaftes Bandmitglied wurde, hätte es eigentlich nahtlos weitergehen können. “Ich hatte schon vor vier Jahren ein neues Album fertig", verrät Goss. “Es sollte bei ‘Epic’ erscheinen, aber aus irgendwelchen Gründen ist es nie dazu gekommen. So ist das eben; ich hatte schon mit so ziemlich jeder Company einen Vertrag, und passiert ist nichts."

Wo das neue Werk erscheinen wird, ist noch unklar, fest steht nur, daß eine Hälfte aus den Aufnahmen von ‘94 bestehen soll, der Rest ist noch in Arbeit. “Ich habe so viele neue Songs geschrieben, daß wir es uns leisten können, nur die besten Stücke von damals zu übernehmen." Mit “Alder Smoke Blues", “Swingeroo Joe" und “Jindalee Jindalie" sind drei Songs dieser Sessions bereits letztes Jahr auf dem im Viper Room in Hollywood aufgenommenen Live-Album “How High The Moon" erschienen. “Sie werden auch nicht auf das neue Album kommen, weil die Live-Versionen die Studio-Aufnahmen mühelos in den Schatten stellen." Statt dessen verspricht Chris Goss “ein Pendeln zwischen hartem Rock und ätherischer Musik.
Es wird einige Überraschungen geben, auch wenn prinzipiell alles beim Alten bleibt. Wobei es ein ‘Altes’ in Bezug auf die Masters gar nicht gibt. (lacht)" Nun, die Basis wird der gute alte Rock’n’Roll bleiben, oder auch ‘Hard Blues’, wie es der Meister selbst manchmal definiert. Die Live-Platte, auf die Chris übrigens “sehr stolz" ist, weil sie “so authentisch klingt und die Band zu diesem Zeitpunkt perfekt widerspiegelt", kam nicht zustande, weil man den wartenden Fans einen kleinen Appetithappen anbieten wollte, sondern weil der damals neue Major ‘Red Ant’ viel zuviel Geld hatte. “Mein alter Freund Mike Ross von ‘Delicious Vinyl’ rief mich an und fragte, ob wir nicht wieder zusammen Platten veröffentlichen wollten. Er hatte einen Millionen-Deal mit ‘Red Ant’ im Rücken, das mußten wir natürlich ausnutzen. Anfangs ließ sich alles toll an, aber dann haben diese Vollidioten von ‘Red Ant’ alles in den Sand gesetzt. Sie haben nicht nur meine Karriere behindert, sondern auch die von Mike Ross, John Garcia und vielen anderen."

Doch behindert heißt zum Glück nicht gestoppt, und so wird hoffentlich bald das dritte Studioalbum der 1981 in Syracuse, New York gegründeten Kultband erscheinen. Wer dann allerdings außer Goss zu dieser Band gehören wird, steht noch gar nicht fest. Die Besetzung der Europa-Tour ist jedenfalls eine Last-Minute-Konstellation. “Googe konnte diese Termine leider nicht wahrnehmen, deshalb ist Paul Powell als Bassist eingesprungen. Der Drummer heißt John Leamy und war früher bei Surgery. Gitarrist Brendon McNichol war auch schon bei ‘How High The Moon’ dabei. Jedenfalls haben wir mit diesem Line-Up vor der Tour erst fünfmal geprobt. Eine feste Besetzung ist für mich nicht so wichtig. Ich treffe durch meine Studioarbeit mit so vielen exzellenten Musikern zusammen, daß es meist kein Problem ist, geeignete Leute an den Start zu bekommen."

Wie der Gig später zeigen sollte, hat er damit nicht übertrieben. Leamy und Powell spielen die Masters-Songs, als hätten sie sie selbst geschrieben. Neues Material wird weitgehend ausgeklammert, weil die alten Sachen schließlich noch nie zuvor auf deutschem Boden präsentiert wurden und die nächste Tour laut Goss nicht lange auf sich warten lassen soll. Die wenigen heute Anwesenden können sich jedenfalls rühmen, eines der schönsten Konzertereignisse der laufenden Saison miterlebt zu haben. Auf dem Eindhovener Dynamo ist die Zuschauerschar zwar ungleich größer, aber eben nicht wegen MOR da. “Klar, es ist ein Metal-Festival, aber es treten auch viele sogenannte Stoner-Rocker auf. Meine Freunde von Kyuss und Slo-Burn haben dort gespielt, und sie fanden es gut. Da Kyuss für mich alles andere als eine Metalband waren, dachte ich mir, daß es auch für die Masters funktionieren müßte. Außerdem paßte der Termin gut in unseren Tourplan."
 

Wenn die Wirklichkeitsgebieter auf dem holländischen Festival gastieren, spielt bei Rock am Ring bzw. Rock im Park ein Mann, dessen Band Chris Goss einst so beeindruckte, daß er sich gar den Titel eines ihrer Alben als Bandnamen aussuchte: Ozzy Osbourne. Selbstverständlich war das Masters-Mastermind auf der Black Sabbath-Reunion-Tour zugegen. “Was soll ich sagen - ich freue mich für die Leute, daß sie immer noch am Leben sind. Es ist schön, daß sie wieder zusammengefunden haben. Über ihren Beitrag zur Musikgeschichte müssen wir nicht diskutieren, und insofern ist es für mich jenseits aller Kritik, wenn diese alten Herren noch einmal auf eine Bühne klettern und die alten Tage aufleben lassen."
 

Auch Chris Goss ist schon ein vergleichsweise ‘alter Herr’, dem es schwerfällt, im musikalischen Geschehen der Neunziger noch echte Überraschungen zu erleben. Doch hin und wieder passiert es. “Ich liebe Björk. Ihre Musik berührt einen, sie ist voller Schönheit. Diese Frau ist eine Sirene. Radiohead haben auch einen interessanten Ansatz vorgelegt, wie die Entwicklung von progressivem Rock weitergehen könnte. Aber ich glaube nicht, daß Radiohead einen Song von Elvis Presley spielen könnten." Das käme auf einen Versuch an.