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Autor: Dirk Siepe

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KYUSS
”Der musikalische G-Punkt”

Schon die dritte Tour innerhalb eines Jahres, die Gastspiele auf hiesigen Festivals nicht mit gerechnet. Dass die geneigte VISIONS-Klientel ein Herz für ihre wüste ‘Fickmusik’ hat, beweisen die allmonatlichen Lesercharts in diesem Magazin. Grund genug für eine kleine Zwischenbilanz, ehe im Juni bereits der Nachfolger zu ‘Sky Valley’ ins Haus steht.

Zum Bandbus hätte ich wohl auch ohne Basser Scott gefunden, schließlich ist der Weg vorzüglich mit Rauchzeichen ausgeschildert. Sänger John ist offensichtlich bester Dinge, man könnte es auch ein bißchen überdreht nennen. Ist das jetzt die Freude, schon wieder hier zu sein, oder eher eine Gegenreaktion auf das Heimweh nach der Palm-Desert? ‘Deutschland ist mein Lieblingsland in ganz fucking Europa und von den Städten ist fucking Köln mein absoluter Favorit’, schwärmt jener trotz des obertrüben Wetters. ‘Aber die langen Touren zehren auch an der Substanz, ein Monat oder anderthalb sind das Äußerste. Es ist nicht nur die Sehnsucht nach der Wüste. Wenn Du zu lange unterwegs bist, ist der Spaß irgendwann weg. Nach der x-ten Show bin ich einfach ausgebrannt. Natürlich ist es ein Privileg, spielen zu dürfen, und wir können auch auf Tour Stücke schreiben und sie mit einem 4-Spur-Gerät aufnehmen, doch es ist nie das gleiche wie daheim in den fucking Canyons.’

Der Einfachheit halber denkt euch bitte bei den folgenden Zitaten von John zu jedem zweiten Substantiv ein ‘fucking’ dazu, um ein konkretes Blid vom Originalton zu bekommen. Vor diesem ersten Gig in Deutschland waren sie in England, Belgien und Holland zu Gast, was unschwer an den zahlreichen Grolsch-Dosen und dem exquisiten Grasgeruch zu erkennen ist. Italien und die Schweiz stehen noch auf dem Programm, danach geht es sofort ins Studio, wie immer mit Chris Goss. Das nächste Album soll nämlich schon Mitte Juni in den Regalen stehen, was für ihre Verhältnisse ein absoluter Geschwindigkeitsrekord wäre. ‘Das mit ‘Sky Valley’ darfst Du nicht zählen, denk an die ganze Scheisse, die wir durch gemacht haben. Wir konnten nicht zum angekündigten Termin mit der Platte raus kommen, weil die Zeit alles andere als günstig war.

Das Album war fertig, aber ‘Chameleon Records’ kümmerte sich um nichts, unser Management verließ uns und unser Drummer Brant warf das Handtuch. So saßen Josh, Scott und ich in meiner Garage, ein großartiges Album in der Tasche und trotzdem nichts zu tun.’ Bis sie sich schließlich ‘Elektra’ unter den Nagel riss und Kyuss in José Alfredo Hernadez Garcia einen bestens in die Band passenden Schlagzeuger fanden. Nicht nur, dass er Brant Bjorks kauzigen Stil bei den alten Songs perfekt nach zu ahmen vermag, er hat sogar noch mehr Power als sein Vorgänger.

Außerdem ist der ein waschechtes Kind der Wüste und hat schon mit Scott in einer Band gespielt, als John gerade seinen elften Geburtstag feierte. Das war 1981, Alfredo und Scott gingen zusammen auf die High School. ‘Als ich ihn kennen lernte, spielte er in einer abgefuckten Punkband namens Mutual Hatred. Der Sänger war das allerletzte, aber er war es immerhin der Alfredo das erste Drumkit besorgt hat. Es bestand nur aus einer Snare und einer Hi-Hat, die er aus einer Kirche gestohlen hatte.’

Nun, ihr Verhalten ist eigentlich Stellungnahme genug. Sie haben halt keine Lust, ihrem Namen ein bestimmtes Image auf stempeln zu lassen. So sind sie auch nicht all zu angetan davon, dass die WEA letztes Jahr eine Dose voller Kondome als Promo-Spielzeug unter die Leute brachte. ‘That sucks real big dick’, empört sich John. ‘Als ich sagte, Kyuss machen Fick-Musik, meinte ich, dass es einfach gut kommt, wenn Du mit deiner Frau vögelst und dabei Kyuss hörst. Jedenfalls für mich. Genau richtig, um eine gute Zeit mit deiner Lady zu haben. Für mich ist unsere Musik sehr sexy, der Rest der Band mag das ganz anders empfinden. In unserer Arbeit stecken die unterschiedlichsten Gefühle. Die Songs könnten genau so gut auf einer Beerdigung gespielt werden wie zu einem romantischem Anlaß.’ Das ist ein Angebot, werde gleich morgen mein Testament ändern lassen.

Doch verweilen wir noch ein Weilchen beim Thema Image und Pose. Das hört sich doch ganz so an wie die neue Monster Magnet, zu der John da seit geraumer Zeit seine Mähne schüttelt. Doch was seine Schmähtiraden bei unserem letzten Interview betrifft, leidet er scheinbar unter einer mittelschweren Amnesie. ‘Ich mochte Monster Magnet schon immer. Wenn ich schlecht über sie gesprochen habe, war ich wohl nicht ganz bei mir. Seit ‘Dopes...’ draußen ist, höre ich die Platte mindestens drei mal täglich. Ihre Musik ist einfach klasse, cool shit.

Wahrscheinlich meinte ich Wyndorfs Gehabe und die permanente Drogenglorifizierung, das ist nicht unser Ding. (Zum Tourbegleiter) Ist das ein Joint? Ich glorifiziere höchstens diesen Joint und das gute holländische Bier.’
Als nächstes landet die letzte Cult im Player. Wieder eine Band, der er gemischte Gefühle entgegenbringt. ‘Dämliche Posen, aber brilliante Alben.’ Mein Blick fällt auf eine kleine Kiste mit der Aufschrift ‘Anti-Hangover’, die den beiden noch gar nicht aufgefallen ist. Der Inhalt ist recht unspektakulär, lediglich einige Kopfschmerztabletten, Magntropfen und ein Päckchen Kingsize-Blättchen kommen zum Vorschein.

Scott vertraut bei Antriebsschwäche auf Bullenhormone. ‘Meine Schwiegermutter hat so ein Designerzeug zur Nahrungsergänzung. Als wir in unser neues Haus eingezogen sind und renoviert haben, habe ich etwas davon genommen. Ich ging ab wie eine Rakete und wollte natürlich wissen warum. Sie sagte, das Taurin wäre für den Energieschub verantwortlich. Dann sah ich, dass dieser Stoff sogar in ‘Friskies’ enthalten ist. Deshalb spielen meine Katzen also dauernd verrückt.’
In ein paar Minuten wird ihr Support Mental Hippie Blood die Bühne des ‘Stollwerk’ betreten, aber zum Glück möchte die niemand von uns sehen. Vor knapp einem Jahr haben Kyuss in dieser Stadt noch für einen Zehner im ‘Rhenania’ gespielt, wenn sie so weiter machen, landen sie irgendwann mal im ‘Müngersdorfer Stadion’. Den eigentlich noch recht angemessenen Eintrittspreis von DM 26,- an der Abendkasse halten die beiden Wüstensöhne schon jetzt für überhöht. ‘Die Sache gerät langsam außer Kontrolle, 26 Deutschmarks sind verdammt viel Geld für diesen Schrott. Wenn wir was auf den Tourneen gelernt haben, ist das, dass wir jede Kleinigkeit im Auge behalten müssen. Das nervt. Schließlich sind wir Musiker und wollen spielen, statt uns um so einen Scheiß zu kümmern. Aber wenn wir nach der Tour die Kohle zählen, ist’s bloß wieder ein Zuschussgeschäft.’ Auch was ihre Shoe betrifft, haben sie offensichtlich einiges dazu gelernt. Beim nunmehr fünften Auftritt, den ich seit dem ‘Dynamo’ vor neun Monaten von ihnen zu sehen bekomme, stimmt einfach alles. Und die sechs oder sieben in den Set gestreuten Neukompositionen lassen für das vierte Album doch einiges erwarten.

Vor einem Jahr waren sie schon in aktueller Besetzung im Studio und haben unter anderem das verspielte ‘Un Sandpiper’ aufgenommen, welches jetzt als B-Seite für das kurzer Hand aus ‘Sky Valley’ ausgekoppelte ‘Gardenia’ dient. Dass dieser Track von Ex-Mitglied Brant geschrieben wurde, der jetzt maßgeblich am Verkaufserlös beteiligt ist, will John nicht als nette Geste verstanden wissen. ‘Ob er davon profitiert oder nicht, ist mir scheissegal. Es ist ein großartiger Song und die Tatsache, dass Brant ihn geschrieben hat, bedeutet nicht, dass es sein Soloding ist. Kyuss haben diesen Song gemacht und wir hätten genau so gut einen anderen nehmen können.’ Oder mal ein anderes Artwork. Die Windgeneratoren, die in der Gegend um Palm Springs das Landschaftsbild dominieren, kennne wir jetzt schon vom ‘Sky Valley’-Innencover und diversen T-Shirts.

Sind die Dinger so eine Art Identifikationssymbol oder haben sie gar einen Vertrag mit dem Elektrizitätswerk? ‘Ha, keineswegs, der Strom wird immer teurer, obwohl jede dieser Windmühlen 25.000 Haushalte mit Energie versorgt’, beschwert sich Scott. ‘Stell Dir vor, du wärst ein Höhlenmensch, der über die Berge kommt, und das erste was du siehst, sind diese ominösen Monster. Genau wie in Texas, wo die wundervolle Wüst von Ölpumpen entweiht wird. Diese Gebilde sind so hässlich wie das, wofür sie stehen, nämlich Geld. Aber andererseits sind sie auch faszinierend. Es gibt gerade mal drei Orte auf der Welt, wo der Wind so konsequent bläst, dass sich diese Art der Energiegewinnung lohnt.’

Der Bus könnte auch mal eine frische Brise vertragen. John hat schon wieder eine Tüte in der Hand und beschnuppert sie skeptisch. ‘Was ist das? Riecht nicht gerade nach Gras. Ich probiere besser nur einen kleinen Zug. ’Scottie wirft ihm einen ermahnenden Blick zu. ‘Nur ein Hit, Barry. Barry ist meine Mama, musst du wissen.’ Mama lacht und zieht selber mal. Und warum heisst Scott jetzt Barry? ‘So lautet sein Name. Barry Reeger, Anwalt. Von der Kanzlei Reeger, Reeger & Parkinsons.’ Zeit für eine ernstere Frage, bevor das Interview völlig entgleist. Wie kommt’s zum Beispiel, dass ihr euch beim letzten Gespräch noch vehement von den Pro-Pot-Aktivisten distanziert habt und auf dem ‘Superbang’ plötzlich das Publikum auffordert, nach der Show einen dicken Joint zu rauchen? Lag’s an der ausgelassenen Stimmung, weil John an diesem Tag Geburtstag hatte? ‘Ich hoffe, das kann vor Gericht als mildernder Umstand für mich gewertet werden. Was ich damals meinte, als du uns in der Palm Desert besucht hast, war, dass wir einfach keine Position beziehen wollen, was die Legalisierung von Hanf angeht. Klar, die medizinischen Aspekte und die mögliche Schonung des Regenwaldes sind überzeugende Argumente, aber Kyuss ist nur eine Band, kein Institut für politische Agitation.’